Interview erschienen bei: Wirtschaftswoche – online am 20.03.2024

Rheinmetall-Aktionäre profitieren vom Boom in der Rüstungsindustrie. Ethik-Analyst Michael Heumann verrät im Interview, wie sich Investments in Waffenhersteller auch ethisch vertreten lassen.

Früher galten Rüstungsaktien für viele mindestens als moralisch fragwürdig. Dann kam der Ukraine-Krieg und manch ein Anleger änderte seine Meinung. Michael Heumann, Wirtschaftsethiker und Ethik-Analyst für die Vermögensverwaltung Arete Ethik Invest in Zürich, erklärt im Interview, wie man für oder gegen ein Investment in Waffen argumentieren kann – und zu welchem Urteil über Rheinmetall und Co. er für sein Haus kommt.

WirtschaftsWoche: Herr Heumann, die Aktie des Düsseldorfer Rüstungsherstellers Rheinmetall hat sich in letzter Zeit prächtig entwickelt. Gehen wir mal davon aus, die Aktie landet jetzt zur Prüfung auf Ihrem Tisch. Was tun Sie?

Michael Heumann: Angenommen, das Portfolio-Management käme zu uns mit dem Hinweis, sie hätten Interesse an Rheinmetall, die Aktien gingen schließlich durch die Decke, das würde sich doch finanziell lohnen. Dann wandert diese Frage an uns Ethik-Analysten. Wir arbeiten mit sogenannten Positivkriterien und bewerten Verantwortungsbewusstsein, ökologische und soziale Aspekte und einige weitere Kriterien. Am Ende kommt eine Punktzahl heraus. Wenn ein Unternehmen mindestens 50 von 100 Punkten erreicht hat und keine Ausschlusskriterien verletzt, kann der Vorschlag von uns aus an ein unabhängiges Ethik-Komitee gehen – und hat dort auch Erfolgschancen. Das Komitee diskutiert dann über den Vorschlag und trifft die Entscheidung.

Was sind denn die Ausschlusskriterien?

Ich gebe mal eine kurze, nicht abschließende Aufzählung: Menschenrechtsmissachtungen, systematische Missachtung des Schutzes natürlicher Ressourcen, systematisch korrupte Geschäftspraktiken oder wenn grundsätzlich gesellschaftlich kontrovers diskutierte Produkte und Dienstleistungen hergestellt werden. Embryonale Stammzellenforschung ist bei uns zum Beispiel ausgeschlossen.

Wie sieht es mit Waffen aus?

Wir nehmen eine breite Definition von Waffen vor und schließen einerseits Unternehmen aus, die Kampfmittel produzieren, und andererseits auch Unternehmen, die militärische Güter, Dienstleistungen oder Technologien anbieten oder damit handeln.
Was ist mit Unternehmen, die zum Beispiel Software herstellen, die auch vom Militär genutzt werden kann?
Nicht-spezifisches Kampfmaterial schließen wir nicht aus. Es muss es sich aber eben um ein Produkt handeln, das nicht spezifisch für militärische Zwecke hergestellt wurde.

Kurzum: Rheinmetall darf nicht in ihrem Portfolio auftauchen.

Ja, unsere Ausschusskriterien sind hier klar verletzt.

In den letzten zwei Jahren, seitdem Russland die Ukraine angegriffen hat, haben viele Europäer ihre Einstellung zur Vertretbarkeit von Rüstungsinvestitionen geändert.

Bis vor drei Jahren war eigentlich für viele Menschen klar: Alle, die etwas mit „Ethik und Nachhaltigkeit und so“ zu tun haben, die dürfen doch nichts mit Waffen zu tun haben. Diese Meinung hat sich bei vielen verändert. Auch wir Ethiker müssen ständig unsere Kriterien überdenken, ansonsten hätten wir ein falsches Verständnis von Ethik. Aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir unsere Ausschlusskriterien nicht anpassen und weiterhin auf Rüstung verzichten.

Gesinnungsethisch könnte man argumentieren: Waffen verursachen schreckliches Leid, darin sollte man nicht investieren…

… Ja, nur sollte man Gesinnungsethik nicht nur als starres Festhalten an Prinzipien sehen! Bei einer Gesinnungsethik geht es um eine deontologische Ethik.

Die WirtschaftsWoche ist kein Philosophiemagazin: Bitte erklären Sie kurz, was deontologisch heißt?

Das ist eine Ethik, die von Immanuel Kant mitgeprägt wurde. Die Würde des Menschen ist hier das Zielkriterium und die Achtung der Würde eine unbedingte Pflicht. Daneben gibt es die nicht-deontologische Ethik, die zum Beispiel mit Fragen des Leides und des Nutzens argumentiert. Sie ist also folgenorientiert und konsequentialistisch.

So ließe sich doch auch die Haltung begründen, dass Rüstungsinvestitionen ethisch vertretbar sind: Waffen können, wenn sie richtig eingesetzt werden, auch etwas Gutes einbringen.

Das ginge auch deontologisch: Die deontologische Ethik verbietet zum Beispiel die Instrumentalisierung des Menschen, aber nicht die Instrumentalisierung von Sachen selbst. Das bedeutet, der Zweck der Dinge liegt nicht in den Dingen selbst, sondern wird von den Menschen auferlegt. Erst die Menschen machen eine Sache also zur Waffe, und wenn sie mit einer Sache zum Beispiel jemanden umbringen, dann können Sie das mit einer Pistole machen, aber auch mit einem Stein, den sie draußen finden. Die deontologische Ethik würde zwischen der Waffe und einem sonstigen Gegenstand keinen Unterschied machen.

So ähnlich sprechen manche über Technologien: Die Technologie ist neutral und es kommt darauf an, was wir daraus machen.

Ja, das wäre ein Argumentationsstrang, welcher kompatibel ist mit einer deontologischen Ethik. Insgesamt ist das natürlich komplexer. Aber vereinfacht ausgedrückt ist nicht die Waffenherstellung als solche problematisch, sondern die bestimmte Verwendung der Waffen. Andererseits kann man auch argumentieren, dass jede Sache ein „Telos“, eine Zweckbestimmung, hat. So hat es etwa Aristoteles gesehen. Darauf aufbauend könnte man sagen, in der Waffe steckt die Waffenhaftigkeit und deshalb ist sie verwerflich, denn ihr Zweck ist die Verwendung als Waffe zur Zerstörung, und dies verursacht Leid. Das war die klassische Argumentation.

Aber Waffen können auch nur zur Abschreckung dienen.

Das war schon immer die Gegenargumentation, auch damals im Kalten Krieg. Der Zweck der Atomwaffen sei gar nicht, eingesetzt zu werden. Atomwaffen wurden historisch bis zum heutigen Tag auch nur dann im Kriegsgeschehen eingesetzt, als nur eine einzige Macht über Atomwaffen verfügte. Darauf basiert die Idee der gegenseitigen Abschreckung. Man kann auch argumentieren, dass Waffen funktional Leid verhindern können. Es gibt viele Argumentationsweisen, die Waffen rechtfertigen.

Aber Sie wollen nicht so argumentieren.

Wie verurteilen nicht, wenn jemand diese Position vertritt, aber wir sagen, unser Fokus ist die Bereitstellung ethisch nachhaltiger Anlagen, und es gibt so viele verschiedene Güter und Dienstleistungen, dass wir uns nicht auch noch darum kümmern müssen.

Was machen Waffenaktien in ESG-Fonds, also Fonds mit besonderem Fokus auf Umwelt (E für Environment), Soziales (S für Social) und gute Unternehmensführung (G für Governance)?

Es ist ganz interessant: Wenn ESG-Fonds keine Ausschlusskriterien haben, schneiden Waffenhersteller oftmals gar nicht so schlecht bei ihnen ab. Ich würde sagen, ESG steht natürlich in Verbindung zur Ethik, aber man kann die Frage des ethischen Anlegens nicht alleine auf ESG reduzieren. Das tun wir auch nicht.
Stichwort Zerstörung: Sie setzen hier ja gerade Waffen mit Krieg gleich.

Andere würden sagen: Waffen in der richtigen Hand verhindern oder mindern Zerstörung, erhöhen also die Nachhaltigkeit.

Damit Waffen als Schutzfunktion zur Verhinderung von Krieg dienen, gibt es ja auch in der Politik sogenannte End-User-Agreements. Die sollen sicherstellen, dass Waffen nicht in die falschen Hände geraten. Das ist natürlich ungewiss. Andere argumentieren hingegen sogar genau damit, dass es Waffen für den Einsatz braucht, damit ein Land den Krieg gewinnt, so wie gerade für die Ukraine. Und damit ist die Ethik der Waffen automatisch, wenn wir die Diskussion dann weiterführen, mit der Ethik des Krieges verknüpft. Das ist noch mal ein großer Bereich. Schon Cicero und Augustinus haben Kriterien für einen gerechten Krieg erörtert.

Wie würden Sie denn die Ethik hinter dem Ausschluss von Waffen spezifisch und in Ihrem Haus im Allgemeinen einordnen?

Allgemein vereinen wir verschiedene ethische Ansätze. Wir sehen den Zweck von Waffen schon in ihrem Einsatz. Unser Ausschlusskriterium lebt also von einer Konsequenzargumentation und von einer Telos-Argumentation. Da diskutieren wir auch regelmäßig darüber. Im Zentrum der Ethik in unserem Haus stehen die Würde und die universalen Grundrechte jeder Person. Zudem befasst sich unsere Ethik mit den Kriterien guten Lebens und verantwortlichen Handelns, des fairen zwischenmenschlichen Umgangs und des gerechten Zusammenlebens in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft.

Und wenn Kunden kommen, die jetzt in Rüstung investieren wollen, weil es so gut läuft?

Wenn wir eine Position ethisch begründen, darf ein entgangener Gewinn nicht das allein entscheidende Kriterium sein, die Ethik zu ändern. Dann wäre Ethik eigentlich nur eine Hilfsdisziplin und am Ende entscheidet eh nur die reine Finanzkalkulation. Aber dann würden wir uns als ethische Vermögensverwaltung nicht mehr von anderen unterscheiden.

Interview von Clara Thier – erscheinen am 20.03.2024 auf der Website der Wirtschaftswoche. Link zum Wiwo-Original-Interview.

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